Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte


Weltkrieg-Schlikker

Johann Bernhard Schlikker

Die Stadt Schüttorf im Weltkriege 1914-18

Am Sonntag, den 27. Dezember 1925 wurde in Schüttorf das Ehrenmal für die Gefallenen des 1. Weltkrieg eingeweiht. In das Fundament wurde dieser Bericht von Senator Johann Bernhard Schlikker eingemauert.

Die alte Stadt Schüttorf, die in früheren Jahrhunderten, namentlich im dreißigjährigen Kriege und in den spanisch-niederländischen Kriegen, oft schwer gelitten, hat auch im Weltkriege 1914 18 ihren vollen Anteil an Verlusten an Gut und Blut getragen.

Als Anfang Juli 1914 der Mord in Sarajevo am österreichischen Kronprinzenpaar die Welt erschütterte, sprach man auch in Schüttorf von der Möglichkeit, dass hieraus ein Krieg entstehen könne, in den auch Deutschland verwickelt werden könnte, aber an eine Weltkatastrophe, wie wir sie nachher erleben mussten, hat wohl kaum jemand gedacht.
Föhnstraße Schüttorf 1910 - Bild: Rudolf Laing (gemeinfrei)
Während der Auseinandersetzungen zwischen Österreich und Serbien, deren Regierung zweifellos um die Ermordung des Kronprinzenpaares gewusst hat, hoffte man immer, es werde gelingen, das Schlimmste abzuwenden und den vielleicht unvermeidlichen Krieg auf die beiden Staaten Österreich und Serbien zu beschränken.

Man sträubte sich gegen den Gedanken, dass es Menschen geben könne, die einen allgemeinen europäischen Krieg hervorzurufen und damit Millionenopfer an Menschenleben zu verursachen fähig wären.

Aber Russland und Frankreich, offenbar ermuntert durch England, hielten ihre Zeit für gekommen. England, das den Krieg mit einem Wort hätte verhindern können, fand dieses nicht als in seinem Interesse liegend, ging im Gegenteil davon aus, den ihm in Industrie und Handel immer lästiger werdenden Wettbewerber Deutschland los zu werden, dadurch, dass es letzteres zu Boden schlagen ließ oder schlagen half. Unter Erwägung und Besprechungen dieser Art näherte sich der Juli 14 seinem Ende und immer drohender lauteten die Zeitungsberichte, bis am 31. Juli die offizielle Erklärung des Kriegszustandes beim Magistrat eintraf.

Dadurch wurde dieser veranlasst, alles vorzubereiten für die unverzügliche Ausführung der Mobilmachungsordre. Die Mitglieder des Magistrat hatten im Amtszimmer zu verbleiben, die erforderlichen Boten und Radfahrer mussten bereitgestellt werden usw.

So wartete man 24 Stunden, bis dann am 1. August, nachmittags 4 Uhr, die telegraphische Mobilmachungsordre eintraf.

Die bewusste, seit Jahren schon im Geldschrank liegende versiegelte Anweisung für den Mobilmachungsfall wurde sofort geöffnet und der Vorschriften entsprechend verfahren. Da fehlte auch nichts und alles klappte vorzüglich.

Schon am anderen Morgen ½ 8 Uhr wurden die ersten Gestellungspflichtigen mit Musik – Kriegervereinskapelle - zum Bahnhof gebracht, und dieses wiederholte sich Tag für Tag für viele Wochen. Da gab es dann Abschiedsszenen, die einen ans Herz gingen.

Nach einigen Tagen erfolgte die Kriegserklärung Englands, die manche Leute doch nicht erwartet hatten. Zwei Tage darauf, als wir wieder eine Anzahl Krieger zur Bahn begleiteten, lief der Extrazug des englischen Botschafters mit zahlreichem Personal ein und musste auf der Station Schüttorf halten, um den von entgegengesetzter Seite einlaufenden Personenzug vorbeizulassen.

Der Salonwagen des Botschafters hielt gerade neben dem Bahnsteig, wo die einberufenen Krieger auf ihren Zug warteten. Die Engländer, besonders der Botschafter, sahen nicht ein einziges Mal von ihrem Frühstück, mit welchem sie gerade beschäftigt waren, auf. Es hätte eben so gut eine Herde Schafe dort vor ihnen stehen können statt der weinenden Frauen und Kinder, die von ihren Lieben, vielleicht auf immer, Abschied nahmen.

Das Benehmen der Engländer mochte korrekt sein, aber uns empörte es. Regierungsseitig wurde nun auf die Spionengefahr aufmerksam gemacht und die Behörden angewiesen, die nötigen Maßregeln zu ergreifen.

Hierbei wurde der Magistrat durch die Bevölkerung in tatkräftiger Weise unterstützt. Alle Wege und Straßen wurden gesperrt, durch kommende 'Automobile' angehalten, oben auf dem Kirchturm eine Wache mit Ferngläsern postiert. Irgendwelche nennenswerte Ergebnisse wurden durch die Maßnahme nicht erzielt.

Der Geschäftsbetrieb auf dem Rathaus, der früher in sehr ruhiger und geregelter Weise vor sich ging, wurde von Tag zu Tag umfangreicher und lebhafter, und es mussten immer mehr Hilfskräfte eingestellt werden, die sich ja auch unter den beschäftigungslos gewordenen Leuten genügend fanden. Manche halfen ohne jede Vergütung im Interesse der Stadt und des Vaterlandes.

In der ersten Zeit machte sich keinerlei Mangel bemerkbar, aber bald stellte sich heraus, dass besonders an Getreide nicht genügende Vorräte im Land waren.

Es wurde verboten, irgendwelches Getreide im Lande zu verfüttern, und bald erschien die Brotkarte, welcher nach und nach die verschiedenen Schwestern als Fettkarte, Fleischkarte, Zuckerkarte usw. folgten.

Zur Bewältigung der mit diesem Kartensystem und anderen damit zusammenhängenden Einrichtungen verbundenen Arbeiten musste ein besonderes Büro errichtet werden.

Zur Unterstützung der Kriegerfrauen und Kinder wurden vom Magistrat bei Bürgervorsteher-Kollegium ein Kredit von zunächst 16000 Mark erbeten und bewilligt. Dann mussten auch die vielen Arbeiter, die durch Stilllegung der Fabriken brotlos geworden waren, mit ihren Angehörigen unterstützt werden. Es war bis dahin viel Opfersinn und große Begeisterung vorhanden.

1. Fortsetzung:

Das zeigte sich auch bei jeder der zur Zeichnung aufgelegten Kriegsanleihen, worauf jedes mal große Summen gezeichnet wurden. Hieran beteiligten sich auch sehr rege die Schulen. Als das Reich dann immer noch mehr Geld brauchte und die Bürger nicht mehr genügend aufbringen konnten, mussten auch die Vermögen der Gemeinden, Kirchen, der verschiedenen Stiftungen auf Drängen von oben veräußert und in Kriegsanleihen angelegt werden. Gerade in Schüttorf handelte es sich hierbei um sehr große Summen.

Inzwischen liefen immer mehr Bescheide ein, dass dieser oder jener für das Vaterland gefallen oder verwundet sei, und das drückte allmählich auf die frischgemute Stimmung. In gleicher Weise wirkte die immer knapper werdende Ernährung. Das auf Karten gelieferte Brot genügte an Menge nicht, war zudem zuletzt eigentlich kein Brot mehr, sondern eine gebackene graubraune, oft ganz ungenießbare Masse, wenigstens zum größten Teil nicht aus Mehl bestehend

Zucker, der in der ersten Kriegszeit in so großer Menge vorhanden sein sollte, dass auf Anordnung der Regierung Pferde damit gefüttert werden mussten, gab es überhaupt nicht und zum Süßen des Kaffees, Tees und der Speisen gab es etwa 2 mal im Monat ein Päcken Süßstoff (Zacharin).

Richtigen Kaffee und Tee tranken nur wenige Bevorzugte, die meisten mussten sich mit dem Abguss von gebrannten Eicheln, Möhren, Weißdornbeeren für Kaffee, getrocknete Blättern von Buchen, Brombeeren etc. Laub für Tee, begnügen. Tabak gab es nicht. Viele Leute rauchten irgend welche trocknen Blätter, der Bürgermeister rauchte Buchweizenschalen, was auf dem Rathaus einen sonderbaren Wohlgeruch erzeugte. Die Art und Weise der Verteilung der Waren näher zu beschreiben würde zu weit führen. Es sei nur erwähnt, dass, wenn der Magistrat dem Kaufmann pro Kopf der Familie 20, 25 oder gar 30 Gramm Gries, Graupen oder Mehl verkauft, dann schon eine Stunde vorher eine lange Reihe Kauflustiger stand, eine lange Reihe bildend, meist unter Aufsicht der Polizei. Oft langte die vorhandene Menge nicht ganz und die letzten mussten nach 3-4stündigem Anstehen unverrichteter Sache wieder abschieben.

Wer ein Schwein mästete und schlachtete, was viele wieder taten, musste einen erheblichen Teil des Fleisches abliefern, ebenso, wer Kartoffeln erntete.

Die Not war wirklich groß und manche Familie hat oft wochenlang wenig anderes als Steckrüben und Kartoffeln ohne Fett, nur mit etwas Kaffee-Ersatz gebräunt, gegessen. Es ist deshalb gar nicht zu verwundern, dass zahlreiche Leute so mager wurden, dass sie nicht wiederzuerkennen waren. Manche verloren in wenigen Monaten mehr als ein Drittel ihres Körpergewichts.

Das waren diejenigen, die obrigkeitlichen Vorschriften lebten, wonach eine gewisse Anzahl von Kalorien enthalten in einer angegebenen Menge (soundsoviel Gramm) Stärke, Fett etc. für die Gesunderhaltung des Körpers genügen sollten, die aber auch vielleicht diese Minimalmenge nicht einmal enthielten.

Da war es denn auch weiter nicht zu verwundern, dass die Sterblichkeit in erschreckender Weise zunahm. Einmal standen gleichzeitig 7 Leichen unbeerdigt, vor dem Kriege starben etwa jährlich 70 Menschen. Dem Elend erlagen besonders viele Mädchen im Alter von 18 – 25 Jahren und junge Frauen.

Fast ebenso schlimm wie der Mangel an Lebensmitteln war die Unmöglichkeit, Kleider und Schuhe zu beschaffen. Niemand sollte mehr als zwei Anzüge besitzen, alles übrige musste abgeliefert werden.

Schluss:

Ein kriegerisches Bild wurde uns geboten in der hier eingerichteten Kampfschule. Von der Heeresverwaltung kam an den Magistrat die Anfrage, ob nicht ein für Übungszwecke geschaffenes Gelände zur Verfügung gestellt werden könnte.

Das wurde bejaht und eine Besichtigung fiel befriedigend aus. Bald schon trafen die ersten Truppen ein. Sie wurden im Lindemannschen Saale, in einigen Schulen und in einigen Bürgerquartieren untergebracht.

Das gab nun ein lebhaftes Treiben. Zu geeigneten, besonders sehenswerten Übungen wurde der Magistrat vom Offizierskorps mehrfach eingeladen. Offiziere erklärten dann die einzelnen Vorgänge, Zweck usw. Viele Tausende von Soldaten, die jeweils etwa 4 Wochen in Schüttorf ausgebildet wurden, sind von hier aus wieder ins Feld gerückt. Die Kampfschule hatte ihr Musikkorps, Offizierskasino und alles, was so dazu gehörte.

Unser Krankenhaus Annaheim wurde zum Reservelazarett eingerichtet. Leider sind bei den gefährlichen Übungen der Kampfesschule verschiedene Unglücksfälle vorgekommen, dabei sind 4 Mann zu Tode gekommen und auf unserem Friedhof beerdigt.

Ein Kriegsgefangenenlager konnte wegen der Nähe zur Grenze nicht eingerichtet werden, auch konnten wir Gefangene für Landkulturarbeiten etc. nicht angewiesen bekommen. Wohl wurden hier zahlreiche Gefangene, die irgendwo entsprungen waren und der holländischen Grenze zustrebten, aufgegriffen und wieder abgeführt.

Der Magistrat ließ nun bald nach Kriegsausbruch die Bürger zu einer Versammlung bitten, wo ihnen auseinandergesetzt wurde, die Not des Vaterlandes erfordere es dringend, dass aller Grund und Boden, der sich dazu eigne, für die Lebensmittelerzeugung hergerichtet werde. Dabei wurden vielen die so sehr gewünschte Arbeitsgelegenheit geboten und schließlich wurde die bestehende Gerechtsame, von den meisten seit vielen Jahrzehnten ja überhaupt nicht mehr ausgeübt, vielmehr nur von einzelnen noch in ganz geringem Maße.

Diesen Ausführungen musste zugestimmt werden, und nachdem einige maßgebende Personen den Anfang gemacht und auf ihr Recht ohne Vergütung verzichtet hatten, fanden sich schließlich alle bereit, auf das so gut wie wertlose, für die Stadt aber sehr hinderliche Recht, wenn auch meist gegen eine mäßige Vergütung, zu verzichten.

Nachdem wir erst selbstständig vorgegangen waren und die Kultivierung zunächst auf einige 100 Morgen, die der Stadt am nächsten liegen, zu beschränken uns beabsichtigen, machte uns das Kulturbauamt in Osnabrück, an welches wir uns um Unterstützung und Hilfe bei den Vermessungs- und Nivelierungsarbeiten gewandt hatten, den Vorschlag, gleich das ganze Feld, etwa 1800 Morgen = 450 ha, groß in Angriff zu nehmen und versprach uns, für diesen Fall für staatliche Hilfe auch finanzieller Art wirken zu wollen.

Nach reiflicher Überlegung konnten wir uns den Vorzügen einer großzügigen Arbeit aus einem Guss nicht verschließen. Die staatliche Hilfe ist uns in jeder Beziehung in beträchtlichem Ausmaße sowohl durch die Arbeit des Kulturbauamtes als auch in Barunterstützungen geworden.

Schon heute ist die Hälfte der Fläche zu landwirtschaftlichen Zwecken unter sehr leichten Bedingungen verpachtet.

Die Stadtverwaltung sucht ihre Rechnung nicht in einer hohen Pachteinnahme für die nahe Zukunft, sondern darin, dass das bisherige Ödland in Äcker und Wiesen umgewandelt wird und in späterer Zukunft einen wertvollen Besitz der Stadt Schüttorf bildet.

Dann wird der Krieg für unsere Nachkommen doch etwas Gutes gezeitigt haben. Leider ist das wohl das einzige. Bis zum Sommer 1916 war die Stimmung hier im allgemeinen eine zuversichtliche. Vereinzelte anderslautende Äußerungen wurden stets mit Entrüstung zurückgewiesen und die Urheber als Miesmacher bezeichnet.

Im Herbst aber ließ die Zuversicht und das Vertrauen auf Sieg nach, und oft hörte man die Äußerung, die Regierung möge Schluss machen und Frieden schließen. Als wenn Deutschland das zu bestimmen gehabt hätte! Als dann der Zusammenbruch erfolgte, war das Wehklagen groß. Nach kurzer Zeit kamen hier dann die ersten zurückflutenden Truppen durch, wurden hier verpflegt und meist auf eine Nacht einquartiert. Am folgenden Tage zogen sie weiter, um anderen Platz zu machen.

Was war aus den früher so schmucken, strammen Soldaten geworden! Man sah es ihnen an, dass sie viel durchgemacht hatten. Dann folgten die Verkäufe von Heeresgut, namentlich Pferden.

Da hat sich mancher ein brauchbares, manchmal ein sehr guter Pferd – oder auch mehr als eins – für wenig Geld gekauft. Die ganz Schlauen zahlten mit Kriegsanleihen, was gestattet war.

Die Zahl der im Weltkriege aus dem Kirchspiele Schüttorf Gefallenen und Vermissten betrug 282, eine auch verhältnismäßig sehr hohe Zahl. Davon entfallen auf die Stadtgemeinde Schüttorf 207, auf Quendorf 23, auf Suddendorf 16, auf Wengsel 17, auf Neerlage 10 und auf Samern 9.

Bis zum 31. März 1917 waren an Unterstützungen gezahlt worden: An staatlichen Unterstützungen 2.7629.001 Mark, an städtischen Unterstützungen 8.989.600 Mk., an Kriegswohlfahrtsausgaben 27.885.886 Mk., das sind zusammen 65.956.650 Mark.

Denn allmählich sank der Wert der Mark derart, dass sie einen begriff bildenden Maßstab nicht mehr bildete.

Die städtische Verwaltung bestand bei Kriegsausbruch aus: Dem Bürgermeister Heinrich Meyering, den Ratsherren Fr. Kröner und Joh. Bernh. Schlikker und den Bürgervorstehern Jan Spering, Wortführer Gerh. Rost, Phl. Schümer, Gerh. Farwick, Gerh. Sinker, Ad. Niemeyer.

Ein sehr böses Kapitel aus der Nachkriegszeit bildete die unter der Bezeichnung Inflation eintretende Entwertung der Mark. In welchem Ausmaß die Bevölkerung, namentlich der Mittelstand, durch die Maßnahme der Regierung, die immer größere Zahlen auf die Reichsbanknoten, Kassenscheine usw. druckte, zu Grunde gerichtet wird und in welcher Geldnot die Gemeinden durch die gänzliche Entwertung der besonders in Schüttorf vorhandenen reichen Stiftungen usw. gerieten, wird wohl nie festgestellt werden.

Quellen: Grafschafter Wochen-Rundschau Nr. 51 v. 20.12. 1925 / Nr. 52 vom 27.12.1925 / Nr. 2 vom 19.01.1926.
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