6012 Reisebericht 5

Der Reisebericht der drei "Podagristen" aus dem Jahr 1843 - 5. Teil

Von Steinfurt zurück nach Bentheim

Beim Rückweg über Wettringen ließen wir Ohne rechts liegen. Der hohe Turm von Schüttorf trat in unsern Gesichtskreis, auch erinnerten wir uns, daß man früher dort von einer Hochschule träumte, und wir riefen uns ins Gedächtnis, daß die nun längs verfallene Burg Altena ehemals eine Freistätte für Verbrecher war. Der Kirchturm ist der einzige erhaltene Altertumsvertreter der Stadt.


... (Dann) begaben wir uns zu Fuß wieder durch den Wald zu Madame Schön (in Bentheim). Es war Sonntag. Vor dem Essen genehmigten wir uns einen Bittern. Aus Schiedam war das Getränk aber jedenfalls nicht. Dazu wurde das Naß in großen plumpen Gläsern gereicht, was uns Holländern geradezu verletzte.

Dennoch fühlten wir uns gestärkt genug, um noch dem Schloß einen Besuch abzustatten... Die Schildwache in der uns von Steinfurt her bekannten Uniform betrachteten wir, als hätten wir nie eine gesehen. ... Bei der Wache ist noch die Steinbank vorhanden, über die früher die Wachsoldaten gespannt wurden, wenn sie Strafe empfangen mußten, und in unmittelbarer Nähe befindet sich das Gefängnis. Eine Steintreppe führte uns auf eine Brüstung, deren freie Seite mit einer hohen Mauer abgeschlossen ist. Durch deren Schießscharten hatten wir einen entzückenden Blick auf den Flecken zu unsern Füßen.

In dem weit sichtbaren Umkreis von Heidefeldern, Äckern und Waldungen verschwanden die paar Häuser jedoch gänzlich. 400 Fuß über der Erde befindet sich der Eingang zu dem 70 Fuß tiefen Burgverließ, das früher die schweren Verbrecher aufnahm. An einer Reihe von Wohngemächern entlang, die der Neuzeit entsprechend eingerichtet sind, wurden wir dann zu einem kellerartigen Gelaß geführt. Die darin befindlichen Folterwerkzeuge riefen in uns Schaudern und Gruseln über die rohe Zeit früherer Jahrhunderte wach.

Die Kronenburg ist der älteste Teil der Burg und enthält angeblich einen Tempel aus heidnischer Vorzeit. Später wurde er zur Hauskapelle eingerichtet; einige Steinfiguren wurden als Götzenbilder bezeichnet. Im übrigen enthält der Raum Staub und Plunder. In einen tiefen Brunnen wurde Wasser gegossen; es dauerte eine Weile, bis wir das Aufklatschen hörten. ...

Auf dem Burghof trieb sich viel Geflügel umher; der Besitzer scheint sich wenig um das Schloß zu kümmern, er soll es höchstens auch nur einmal in der Woche besuchen. Noch seltenere Gäste sind die Prinzen, die in preußischen Heeresdiensten stehen. Im ganzen scheint uns der Besuch des Schlosses wenig empfehlenswert zu sein. Wir sahen weder Gewölbe, noch vergitterte Fenster, noch Zimmer mit Rüstungen, weder Spieße, noch Schwerter und Trinkhörner als Zeichen von Rittermahlzeiten; auch mahnte weder eine Kapelle, noch Glockengeläut und Hörnerklang an die frühere Herrlichkeit. ...

Wenn wir aber auch vieles vermißten, was wir billigerweise erwarten zu dürfen geglaubt hatten, so ersetzte doch die großartige Fernsicht manches. Im ganzen sollen bei klarem Wetter 80 Ortschaften zu sehen sein, das sind aber 73 mehr als wir mit unsern guten drenthischen Augen entdecken konnten. Am Eingang einer trotzigen Felsenschlucht befindet sich der Drususstein; wir hielten uns nicht lange bei ihm auf; denn die Mittagstafel der Frau Schön lockte uns zu sehr.

Zum Nachmittagsgottesdienst hielt Dominee van Nes eine Katechismuspredigt über die Verleumdung. Die Kirche war mit zahlreichen Andächtigen gefüllt, und es war deutlich zu sehen, daß der Prediger ohne Leitzettel sprach, aber es war auch zu hören. Ein Rundgang durch den 1200 Seelen zählenden Ort schloß sich an. Nur selten fällt ein hübsches Gebäude auf, und alle Häuser scheinen um das Schloß herum gesät zu sein. Die sowohl neben- als auch übereinander verlaufenden Straßen sind mit großen unregelmäßigen Kieselsteinen gepflastert. Gefährlich wird dies bei Glatteis, Schnee- und Hagelwetter sein. Hier und da sind auch Treppen angebracht, zu denen der natürliche Fels benutzt ist.

... Der Weg zum Bade führt durch herrliche Gärten. Der Gesundbrunnen selbst ist eine Zufluchtstätte für Kranke, Glücksspieler und Tänzer. Der Ballsaal ist ein mit Stroh gedeckter Rundbau und umfaßt rings die Schwefelquelle. Wir gehörten weder zu der einen, noch zu der andern Art der Besucher. Von allen Seiten waren Sonntagsgäste herzugeströmt, so daß nirgends ein Sitzplatz zu finden war. Der ziemlich heftige Wind ließ die Weisen der Musik so gut wie ganz vergehen. Viele Spaziergänger waren im Gehölz; sie scherzten und lachten, während andere gedankenlos dahinschlenderten; auch hörten wir Scheibenschießen. Mit dem Eintritt der Dämmerung verkrümelten sich die sitzenden und wandelnden Gruppen, das Glücksspiel übte seine Anziehungskraft aus. Eine in der Vertiefung eines breiten Tisches drehbare Holzscheibe war in rote und schwarze Felder unterteilt; die Farbe, auf der nach mehrfachen Umdrehungen der Scheibe eine Kugel liegen blieb, hatte gewonnen.

Ein Bankhalter forderte auf Französisch zu Einsätzen auf: ‚Qui jeut? Rouge, noir, à la Pyrmont?’ (Wer spielt rot, weiß, nach Pyrmonter Art?) Der Einsatz betrug zwölf Stüber; die Börsen öffneten sich, meist wurden preußische Taler gewechselt; entschied das Glück zu Gunsten der Bank, dann holte der Bankhalter die Einsätze mit einer Krücke zu sich heran. Einige Spieler hatten anfangs Glück, zuletzt aber verloren fast alle. ...

Ein junger Holländer hatte beständig Pech, behauptete aber gleichmütig, heute wäre sein Tag nicht, überhaupt wäre es ihm zu ‚benaut’, und damit verließ er die Stätte der rollenden Kugel. Je später es wurde, je mehr lichtete sich die Gesellschaft; leerer und leerer wurden beide Vergnügungsstätten. Am Ausgang des übrigens schlecht erleuchteten Tanzsaales standen zahlreiche junge Leute beiderlei Geschlechts und ergötzten sich mit guten und schlechten Witzen. Um Mitternacht traten wir wieder unter das gastliche Dach von Frau Schön.

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