Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte


1848

Helmut Lensing

Die Revolution von 1848, die Frankfurter Nationalversammlung und die Grafschaft Bentheim

Das Bentheimer Land war in den ersten Jahrzehnten nach der Zuordnung zum Königreich Hannover, die durch die Verhandlungen nach der Beendigung der Ära Napoleons erfolgte, ein geographisch randständiges, wirtschaftlich darbendes und politisch komplett unerschlossenes Gebiet im äußersten Westen des neuen Königreichs.

Dünn besiedelt und ohne einwohnerstarke Ortschaften, dazu ohne eigene Presse und ohne ein zahlenmäßig starkes und gebildetes Bürgertum war der größte Teil der Grafschafter Bevölkerung politisch eher unwissend und wenig interessiert. So bekamen die meisten Einwohner auch nicht mit, dass sich der hannoversche König entschieden allen Forderungen nach Einschränkung seiner monarchischen Rechte durch die Beteiligung einzelner Volksschichten oder gar des Volkes an der Regierung widersetzte.
Ludwig von Elliott: Sitzung der Nationalversammlung im Juni 1848 (gemeinfrei)
Mit König Ernst August II. (1771-1851) gelangte 1837 ein Monarch an die Spitze des Staates, der als ausgesprochen konservativ galt. Die sofortige Aufhebung des Staatsgrundgesetzes nach seiner Amtsübernahme entfachte zwar den heftigen Protest der Liberalen, dürfte im Bentheimer Land jedoch kaum auf Widerstand gestoßen sein. Trotz des reaktionären Kurses seiner Regierung konnte König Ernst August die Revolution von 1848, die auch in Hannover zu Unruhen führte, schnell ersticken.

Doch ganz ohne Resonanz blieben die revolutionären Ereignisse in anderen Teilen Deutschlands auch im Bentheimer Land nicht, denn neben den politischen Ereignissen hatten auch Missernten – verbunden mit einer Wirtschaftskrise – die Bevölkerung beunruhigt. Der ein oder andere Grafschafter wird gelesen oder gehört haben, dass anderswo die Menschen Presse-, Meinungs- und Religionsfreiheit, die Abschaffung der Privilegien des Adels, eine allgemeine Volksbewaffnung statt eines monarchischen Heeres und politische Mitbestimmung für das Volk sowie eine Verfassung mit Grundrechten forderten.

Dazu kursierte unter den Wohlhabenderen im Bentheimer Land ein Aufruf Osnabrücker Bürger, die darin etwa Wahlen, Schulgeldfreiheit, freie Volksversammlungen und Geschworenengerichte forderten. König Ernst August kam der Zeitstimmung etwas entgegen und lockerte die Gesetze, beispielsweise über die Zensur, oder erlaubte nun den Zusammenschluss in Vereinen und Verbänden. Wegen der unruhigen Zeiten war auch in Bentheim eine Bürgerwehr gegründet worden.

Der Magistrat und die Bürgerdeputierten, aufgrund des Wahlrechts nur von den Honoratioren gewählt, entschieden jedoch, für die Bürgerwehr keine Waffen anzuschaffen und diese nicht als öffentliche Institution anzuerkennen und deren Kosten zu übernehmen. Man glaubte nicht, dass man sie zur Niederschlagung revolutionärer Bestrebungen benötigen müsste. So war offenbar ihr nur ein kurze Existenz beschieden.

Die Bevölkerung blieb weiterhin ruhig, während es anderswo gärte. So erregte selbst die Wahl der Frankfurter Nationalversammlung nur wenig Aufmerksamkeit. Die Ämter Bentheim, Neuenhaus, Freren und Fürstenau bildeten den 22. Wahlbezirk. Dort wählten am Donnerstag, dem 27. April, alle erwachsene Männer Wahlmänner. Erstmals durften alle Männer – unabhängig von ihrem Vermögen und sozialen Stand – ihre Stimme abgeben, die auch noch gleichviel zählte. Diese Wahlmänner wählten dann wiederum in Lingen den regionalen Abgeordneten.

Der Wahlbezirk Hannover 22 (Lingen) hatte 72 Wahlmänner zu wählen, wovon 15 aus dem Amt und der Stadt Lingen stammten. Lingen selbst als einwohnerstärkster Ort im Wahlkreis stellte nur drei Wahlmänner. Gewählt wurde am 2. Mai 1848 der Lingener Jurist Johann zum Sande/Zumsande (1802-1878), einer der drei Lingener Wahlmänner. Ob die Grafschaft einen oder mehrere Gegenkandidaten aufgestellt hatte, ist nicht bekannt.

Die einzige Zeitung im Gebiet der späteren Kreise Bentheim und Lingen, das „Lingen’sche Wochenblatt“, nahm – obwohl sie selbst am 26. März 1848 von der Aufhebung der Zensur berichtet hatte – bis auf die Verkündung dieses Wahlergebnisses erstaunlicherweise keine Notiz von diesem revolutionärem Ereignis und vermeldete nicht einmal der Ergebnis der Wahl des Abgeordneten.

Zum Sande war in Lingen vielfach in der Öffentlichkeit aktiv, so unter anderem als ehrenamtlicher Senator, der einen Teil der Stadtverwaltung leitete. Grafschaftern war er bekannt, weil er der Ablösekommissar für die Grafschaft gewesen war, also als Jurist die Ablösung grundherrlicher Lasten durch die Bauern begleitet, sowie die vormaligen oranischen Dominalbesitzungen im Bentheimer Land sowie die Verwaltung des ehemaligen Klosters Frenswegen beaufsichtigt hatte.

Zusammen mit dem Abgeordneten Matthias Deymann aus Meppen, der für das nördliche Emsland gewählt worden war, schloss sich der Lingener Jurist der Fraktion „Paris Hof“ an. Die sich in diesem Gasthaus treffenden Mitglieder der Nationalversammlung waren konservativ-förderalistisch und großdeutsch orientiert. Der Katholik Zum Sande votierte gegen Klein-Deutschland und die Verleihung der Kaiserkrone an Preußen, befand sich damit aber in der Minderheit.

Revolution in der Grafschaft Bentheim?

Die revolutionäre Zeitstimmung machte sich in der Grafschaft erst zur Jahreswende 1848/49 öffentlich bemerkbar. Am Silvesterabend waren in Bentheim Personen unbefugt in die Kirche eingedrungen und hatten die Kirchenglocken geläutet, offenbar also wohl gebaiert, eine alte regionale Tradition zur Begrüßung des neuen Jahres. Allerdings war dies verboten, ebenso das nächtliche Läuten nach Mitternacht – und ohnehin war seinerzeit für jedes festliche Läuten außerhalb der Gottesdienstzeiten eine behördliche Genehmigung einzuholen.

Möglicherweise waren die Teilnehmer aufgrund der neuen politischen Lage der Ansicht, sich an dieser Stelle neue Freiheiten erkämpfen zu können. Dennoch – die behördlicherseits ermittelten Teilnehmer wurden angeklagt und zu drei bis vier Tagen Gefängnis verurteilt. Diese harte Strafe und die Behandlung der Betreffenden als „gemeine Verbrecher“ löste Wut und Empörung aus. Am arbeitsfreien 21. Januar, einem Sonntag, steigerte sich offensichtlich in der Bevölkerung die Empörung und machte sich laut Magistratsbericht in Beschimpfungen Luft.

Am 22. Januar 1849 folgten Taten. Es kam zu einem Volksauflauf, die Freilassung der Gefangenen wurde gefordert, es kam zu Sachbeschädigungen und Ruhestörung, wobei auch Familienangehörige der Inhaftierten aktiv waren. Senator Neeseker zeigte die Vorfälle an und forderte Schutz sowie eine Bestrafung der Schuldigen.

Die Polizei sah aber den Schutz des Senators als Sache einer Bürgerwehr oder des Militärs an, Bürgermeister Stoltenkamp wollte indes kein Militär anfordern. Weiterhin kam zur Anzeige, dass beim Polizeidiener nach dem Auflauf zwei Scheiben eingeworfen worden waren, wofür zwei Steinhauer verdächtigt wurden.

Der städtischen Behörden unter Leitung des Bürgermeisters weigerten sich jedoch weiterhin – gegen die Stimme Neesekers – Militär anzufordern, baten jedoch um die Entsendung einiger zusätzlicher Landgendarmen.

Ein anonymer Brief, als dessen Schreiber später ein Bentheimer Arzt identifiziert werden konnte, klagte beim Kabinett in Hannover, dass der Bürgermeister Stoltenberg willkürlich herrsche und sich die Handwerker und Arbeiter der Gemeinde sich in einer „bedrückenden Lage“ befänden, weil der Bürgermeister sie mit sehr hohen Steuern belaste, während die Reichen nichts zahlten.

Daher forderte der Schreiber eine Trennung des Vermögens von Amt und Kirche, die Niederschlagung etlicher Steuern und freie Wahlen zum Magistrat und Kirchenrat. Die Behörden widerlegten die meisten der hier erhobenen Beschuldigungen, ließen aber eine Abteilung Kavallerie in die Nähe von Bentheim verlegen. Der Magistrat solle überlegen, ob nicht doch eine Bürgerwehr errichtet werden könne.

Der tief gekränkte Senator Neeseker ersuchte, enttäuscht darüber, dass seine Magistratskollegen nicht voll hinter ihm standen, um seine Entlassung als Senator. Bentheimer Honoratioren verfassten und unterschrieben daraufhin eine Ehrenerklärung für ihn, gegen den sich die Beschimpfungen und der Zorn vieler Einwohner richtete.

Die Justiz arbeitete indessen weiter. Da die Hauptbeschuldigten indes nicht mehr in Bentheim weilten – sie leisteten ihren Militärdienst ab oder waren auf Hollandgang – ordneten sie an, sie bei einer Rückkehr nach Bentheim zu verhaften. Mindestens 13 Männer wurden letztlich wegen des Volksauflaufs empfindlich bestraft.

Einige Verurteilte wehrten sich juristisch gegen die Gefängnisstrafen. Noch Anfang 1850 setzten sich 15 Bentheimer für eine Milderung der Urteile ein. Die Bentheimer Verwaltung unterstützte dies, da die Strafe nun schon zum Teil abgebüßt sei und die Betroffenen durch Unkenntnis in die Straßenauflauf verwickelt worden seien. Zudem habe die Verurteilung eine anhaltende „innere Zwiespalt und unglückselige Zerrissenheit“ in der Gemeinde hervorgerufen.

Auch dieses Gnadengesuch half den Verurteilten, die Handwerker oder Arbeiter waren, nicht. Die Geldstrafen mussten bis auf den letzten Pfennig bezahlt, die Gefängnisstrafen bis auf den letzten Tag abgesessen werden. Wenngleich wohl die Zeitumstände und soziale Not den Volksauflauf begünstigt hatten, so waren hier offenbar eher verwandtschaftlich-freundschaftliche Bindungen für den einzigen „Aufruhr“ im Bentheimer Land in Folge der Revolution von 1848 ausschlaggebend.

Da die Protestierenden ohne breite Basis in der tonangebenden Honoratiorenschaft waren, konnte der Staat in der Grafschaft mühelos mit harter Hand jedes Aufbegehren gegen die Obrigkeit unterdrücken .

 Literatur
- Lensing, Helmut, Die Wahlen zum Reichstag und zum Preußischen Abgeordnetenhaus im Emsland und in der Grafschaft Bentheim 1867 bis 1918 – Parteiensystem und politische Auseinandersetzung im Wahlkreis Ludwig Windthorsts während des Kaiserreichs (Emsland/Bentheim. Beiträge zur Geschichte, Bd. 15), Sögel 1999, S. 47-49.
- Lingen’sches Wochenblatt Nr. 13 vom 26.03.1848 (Aufhebung der Zensur).
- Lingen’sches Wochenblatt Nr. 17 vom 23.04.1848 (Aufruf des Fünziger-Ausschusses zur Wahl, Einteilung der Wahllokale und Wahlbezirke).
- Voort, Heinrich, Die Revolution von 1848/49 und ihre Auswirkungen im Flecken Bentheim, in: Bentheimer Jahrbuch 1986 (Das Bentheimer Land, Bd. 107), Bad Bentheim 1985, S. 51-62.

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