Die Grafschaft Bentheim in der Geschichte


Niewhof

Gerhard Herrenbrück

Johan Nieuhof - Uelsens großer Sohn

Johan Nieuhof erblickte am 22. Juli 1618 in Uelsen das Licht der Welt. In der historischen Forschung ist man inzwischen davon überzeugt, dass er mehr war als ein Abenteurer und Weltumsegler, als der er lange Zeit nur galt.

Von Beruf Kaufmann, ist er als begabter Zeichner und Autor mehrerer Bücher über seine Reisen nach Brasilien, nach „Oostindien“ und vor allem nach „Sina“ (wie er statt „China“ schreibt) von großem Einfluss gewesen.
Johan Nieuhof (Johan Nyhoff) - Bild: gemeinfrei
Das Bild, das Europa sich im 17. Jahrhundert und davor von China machte, hat er mit seinem China-Buch zurechtgerückt und erneuert. Der bald darauf einsetzende europäische Stil der „Chinoiserie“ in bildender Kunst, Mode und Architektur ist dadurch beflügelt worden. Schöne Beispiele dafür findet man in Deutschland und Europa überall.

Die Gemeinde Uelsen ist im Besitz des mit 150 Kupferstichen illustrierten China-Buchs. Sie hütet dieses einzigartige Werk, das dauerhaft in der Obhut des Kreisarchivs bleibt, als einen ihrer kostbarsten kulturellen Schätze. Es ist 1665 erstmalig in niederländischer und französischer Sprache erschienen; ein Jahr darauf folgte die deutsche Ausgabe unter dem Titel Die Gesantschaft der Ost-indischen Geselschaft in den Vereinigten Niederländern an den Tartarischen Cham und nunmehr auch Sinesischen Keyser, Amsterdam: van Meurs.

Das 500 Seiten starke Buch im Quartformat erschien bald darauf auch auf Latein und Englisch, erlebte rasch weitere Auflagen und war für den rührigen Verleger van Meurs ein großer Erfolg, ein Bestseller. Herausgegeben wurde es nicht von Nieuhof selbst, der dazu nicht das nötige „zitvlees“ hatte, sondern von seinem Bruder Hendrik, der auch die Vorrede schrieb. Darin unterstreicht er den China-Hype der Zeit: das allerberümteste, gesegnetste, fruchtbarste und eusserste Theil des ganzen Asiae (Seite 3).

Er verspricht seinem Lesepublikum, das Buch seines Bruders werde den Europaeern Sinas Thore eröffnen und alle seine denkwürdigste Geheimnüssen, wonach diese Völcker so viel hundert Jahre vergeblich getrachtet, entdecken und offenbaren. Von Natur aus sei den sterblichen Menschen eine Lust dazu eingepflantzt, dem Verborgenen nachzuspüren und das weit Entfernte kennen zu lernen und gerne mit Augen sehen zu wollen. (S. 4)

Darin drückt sich der Geist einer neuen Zeit aus, als dessen Kind wir Johan Nieuhof sehen dürfen. Das Porträt auf der Titelseite seines China-Buchs lässt erahnen, was einer seiner Biografen im 19. Jahrhundert über ihn sagt: ein vielseitiger, rasch auffassender Geist, poetisch und musikalisch veranlagt, fleißig in der Aufzeichnung der verschiedensten Beobachtungen und Mitteilungen.

Über seine Jugendjahre in Uelsen ist nichts bekannt. Wir wissen nur, dass sein aus Zwolle stammender Vater, Kaufmann von Beruf, nach Uelsen kam und es dort zum Bürgermeister brachte. In seine Amtszeit fällt der Bau des Alten Rathauses in Uelsen, wahrscheinlich im Jahre 1649. Seine Mutter Egberta Picardt war eine Schwester des Moorkolonisators Dr. Johan Picardt.

Seit Nieuhof im Jahre 1640 als Soldat in die Dienste der Westindien Kompanie trat und neun Jahre in Brasilien verbrachte, hat er sich überwiegend in fremden Ländern bewegt. Nur einmal war er von Ende 1649 bis Sommer 1653 für längere Zeit zu einem Familienbesuch in Uelsen und hat am 15. Mai 1651 wahrscheinlich den Tod seines Vaters miterlebt. Nach Amsterdam kam er vermutlich als 21-Jähriger auf der Suche nach Arbeit im „Kielwasser“ seines Onkels Alexander Picardt.

China lernte Nieuhof als Mitglied einer niederländischen Handelsdelegation kennen, die auf Beschluss der Vereinigten Ostindischen Kompanie (VOC) beauftragt war, Handelsbeziehungen zum Reich der Mitte herzustellen, dessen Waren begehrt waren: besonders Porzellan und Seide. Die Niederländer hatten gegen Ende des 16. Jahrhunderts in Asien die Vormachtstellung der Spanier und Portugiesen abgelöst und in Batavia (heute: Jakarta) eine Handelsstation gegründet, von der aus sie den Handel mit China betreiben wollten.

China war schon im 13. Jahrhundert von dem Venetianer Marco Polo bereist worden und auch die Jesuiten betrieben seit langem schon Mission in Peking, als die niederländische Gesandtschaft dort eintraf. Sie war am 19. Juli 1655 mit zwei Schiffen von Batavia aus gestartet. Die beiden Heupter der gantzen Gesantschaft (S. 32) waren die Kaufleute Pieter de Goyer und Jacob Keyser.

Ihre Begleitung bestand aus 14 Personen, darunter zwei Dolmetscher, ein Arzt, sechs „Securities“ und ein sog. Hofmeister, eine Art Manager und Schiffskapitän zugleich. Das war Johan Nieuhof. Er hatte die Aufgabe, über den Verlauf der Reise einen Bericht zu verfassen und die wichtigsten Beobachtungen über Land und Leute zu skizzieren. Wegen seines Zeichentalents war er für diese Aufgabe ausgewählt. Die Skizzen waren die Grundlage für die Kupferstiche, die der Verleger in Amsterdam fertigen ließ und als Illustration in den Text einfügte. Das war der ausdrückliche Auftrag der VOC und trug zum späteren Erfolg des Buchs bei.

Die lange Reise hin und zurück von Kanton (Guangzhou) nach Peking über 2400 km zu Lande, aber vor allem auf dem Wasser ist Gegenstand des ersten Teils. Ihn hat Nieuhof nach seiner Rückkehr nach Amsterdam für die VOC aufgeschrieben. Der zweite Teil enthält eine lexikonartige Darstellung von politischen, geographischen, naturwissenschaftlichen, und kulturellen Infos, die der Verleger zum Teil aus anderen Quellen zusammengestellt hat.

Die Lektüre von Nieuhofs Reisebericht zeigt, welch ein versierter Schriftsteller er war. Er schreibt anschaulich und lebendig und begegnet dem Land mit großer Aufgeschlossenheit. Seine Illustrationen haben dokumentarischen Wert und darin liegt die Modernität des Buches. Sie vermitteln die Wirklichkeit von Natur und Landschaft, die Besonderheiten der Menschen, ihrer Städte und Bauwerke.

Scharfe Worte findet er eigentlich nur für die Greueltaten der Besatzungsmacht, der Tarter, also der Manjuren, die erst wenige Jahre vor der Ankunft der Gesandtschaft die Ming-Dynastie ablösten. Und besonders scharfe Worte auch für die Tempel, Pagoden und die Religion des Landes, die er immer wieder als greuliche Abgötterei verurteilt.

Seine Darstellung ist reich an Fakten und an Zahlen: „Ehe ich weiter gehe, will ich hie das Wort Ly welches hin und wieder in dieser Reyse Beschreibung/beim Abmessen der Oerter/soll gebraucht werden/kürtzlich erklähren. Und er erklärt dann, dass das Ly ein Längenmaß ist, das sich nach der Sineser eignen Erklährung/ soweit erstrecket, als man eines Menschen Stimme hören kann, wenn er auf ebenem Felde und bei stillem Wetter mit vollem Halse rufft. (S. 67)

Besonders interessieren ihn die Einwohnerzahlen, weil dieses Land so sehr volckreich ist. Und wie funktioniert die Zählung? Auch das beobachtet er sehr genau: Jedem Hausvater ist auferlegt, ein Täflein an der Vortüre seines Hauses zu hängen/ darauf er die zahl seiner hausgenossen anzeichnen mus. Und zur Kontrolle ist für jeweils zehn Häuser eine Art Oberstatistiker eingeteilt, ein Titang, der die Zahlen aufschreibt und zusammenrechnet und bei fraglichen Zahlen Meldung an den Beampten des Ortes macht.

Immer wieder schildert er anschaulich, wie es von Menschen nur so wimmelt: welche oftmals anders nicht/als Bienenschwärme/mit und durch ein ander einher krüblen und wiblen/daß wer sie von fernen erblikket/ gantze heerschaaren zu sehn vermeinet. Die Portugiesen hätten sich deshalb gefragt, ob die sinesischen Frauen zehn oder zwölf Kinder in einer Tracht zur welt brächten. (S.12)

Der Verlauf der Reise wird sowohl in ihrer geographischen wie auch chronologischen Ordnung mit genauen Orts- und Datumsangaben erfasst. Sie endete mit der Rückkehr nach Batavia am 21.März 1657. Weitere Reisen zwischen Amsterdam und Asien folgten in den nächsten Jahren.

Am 7. Oktober 1672 geht er mit seinem Schiff „Der Pfeil“ an der Nordküste Madagaskars vor Anker, wahrscheinlich um an Land Sklaven zu kaufen. Man sieht ihn nie wieder.
(Dank an Matthijs Wanrooij aus Breklenkamp für seine sachkundigen Hinweise und den Zugang zu seiner historischen Bibliothek)
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