Der
Reisebericht der drei "Podagristen" aus dem Jahr 1843 - 3. Teil
Von
Nordhorn nach Bentheim
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Im Jahre 1843
unternahmen die Herren Van der Scheer, Boom und Lesturgeon eine
dreitägige Reise, die sie durch drei Königreiche führte: Von Coevorden im
Königreich der Niederlande ging es zunächst über Neuenhaus, Nordhorn und
Bentheim, die damals im Königreich Hannover lagen, bis Burgsteinfurt
im Königreich Preußen. Auf dem Rückweg wurden die Orte Schüttorf,
Bentheim, Gildehaus, Neuenhaus und Wilsum angesteuert. Die
Reisenden werden als die drei "Podagristen" (Gichtkranke) bezeichnet.
Angeblich suchten sie Heilung im Bentheimer Bad. Doch sie
hielten sich im Bad in Bentheim kaum auf. Hier der 3. Teil ihres ausführlichen
Reiseberichts (leicht gekürzt):
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Nach
einer Stunde Wegs im mahlenden Sande erreichten wir Brandlecht mit
seinem dicken Turm und seinen im Gebüsch verborgenen
Bauernhäusern. Der Ort schien ausgestorben zu sein; wir bemerkten nur
einen barfüßigen, blaubemützten Jungen, der drei Schweine hütete. In
einer Wirtschaft saß am Herde ein Landmann, der mit ungewöhnlichem
Zungenschlag folgendes Erlebnis schilderte: ‚Er hat in Friesland 99 Tage
mit Leinenweben zugebracht und damit 30 Gulden verdient. Auf dem Wege nach
seiner Heimat läßt er sich in Leeuwarden durch den Kirmestrubel
aufhalten. Er sieht viele Fremde und überall fröhliche Gesichter beim
Anblick der Gaukler, des Pias, der Puppenbühne von Jan Klaassen, der
vielen Drehorgeln. In einer Wachsfigurenbude wird sogar die Königin von
Saba mit ihrem Hofstaat vor Salomo dargestellt.
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Der Landmann ist froh, all
diese Herrlichkeiten genießen zu können, doch als er in die blecherne
Sammelbüchse sein Scherflein legt, muß sein Schatz wohl unehrlichen
Augen sichtbar geworden sein; denn der Betrag ist ohne sein Wissen
plötzlich verschwunden. Unser Weber denkt erst nach mehrstündigem Genuß
an das Weitergehen, bahnt sich dann, seiner Heimat und seiner heimatlichen
Beziehungen eingedenk, mühsam einen Weg durch die ebenso fröhlichen wie
neugierigen Menschenhaufen, wirft an der Trekschuite noch einen
glückseligen Blick auf Frieslands Hauptstadt, um dann behaglich auf seine
Hosentasche zu klopfen, die vermeintlich seinen mühselig errungenen
Webelohn noch birgt. Doch, wer schildert sein Entsetzen? Das sauer
verdiente Geld von 99 Tagen, für das er eifrig seine Füße hat treten
und seine Hände die Spule hat drehen lassen, das Geld ist fort.
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Schreckliche
Entdeckung! Alle Taschen werden durchstöbert, jedes Eckchen wird
nachgesucht, vergebens! Er beginnt zu schluchzen; umstehende Menschen
werden aufmerksam, einige halbwüchsige Burschen höhnen, andere machen
ein mitleidiges Gesicht, noch andere beklagen ihn laut. Ein alter Soldat
drückt ihm ein Fünfstüberstück in die Hand und rät ihm, sich zum
Stadthaus zu begeben. Dort schildert er bedächtig sein trauriges
Schicksal, ... Zu Ehren der
Hauptstadt der freien Friesen sei es nun gesagt, daß das schwere Unglück
dem Hannoversmann einigermaßen vergütet wurde.
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... Schnurrstracks ging’s nun zum Isterberg. Er besteht aus
mächtigen Steinmassen, die in wunderlichen und rohen Formen aufeinander
und nebeneinander liegen. Um das Pferd zu entlasten, gingen wir zu Fuß
zum Gipfel und staunten die steinigen Klumpen an, mit denen die
Drenthischen Hügelgräber keinen Vergleich aushalten. In den Felsen sind
Abdrücke von Hasen-, Schafe-, Rinder-, Pferde- und Menschenfüßen
sichtbar. Wir mußten die sich uns aufdrängende Frage unbeantwortet
lassen, warum in der angeblich früher weicheren Masse der Pferdefuß
nicht tiefer eingesunken ist als der eines Langohrs. Man meint auch, daß
Noahs Arche hier gelandet ist, und in der Tat, es ist mehrfach im
Hannoverland als Wandschmuck abgebildet zu sehen, wie Noah zum Dachfenster
seines Fahrzeugs hinausschaut und eine lange deutsche Pfeife raucht.
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Auf
dem Berge war früher der Hinrichtungsplatz; noch vor wenigen Jahren ist
hier ein Verbrecher enthauptet worden. Als wir in vollen Zügen uns der
herrlichen Fernsicht laben, mahnte Jan Stil durch Peitschenknall wieder
zum Aufbruch. In einer Wirtschaft war nur das Wasser genießbar.
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Der
anscheinend planlos angelegte Bentheimer Wald, der sich uns bald darbot,
ist ein Zeugnis unbeeinflußter Natur wie der Isterberg. Alle Holzarten
sind in ihm vertreten, und darunter weidet das Bentheimer Stadtvieh. Bald
darauf trafen wir auf Straßenpflasterer; ganze zwei Arbeiter waren
beschäftigt, Stein auf Stein zu legen, um so die Besteinung des
Isterberges bis zur Spitze fortzuführen. Wie lange aber wird es währen,
bis das Ziel erreicht ist? Sie arbeiteten nur daran, wenn nichts anderes
zu tun war. Es gehört viel Geduld dazu, jeden Tag mit Befriedigung
festzustellen, dass das Werk wieder um einen Hahnentritt gefördert
ist.
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Jan
Stil hatte recht, als er uns einen herrlichen Blick auf Bentheim in
Aussicht stellte, und diese Weisheit löste ihm wieder die Zunge. Jedoch
nicht lange; denn wir zogen vor, den Neuenhäuser Marterkasten zu
verlassen, wiesen unsern Führer an, sich zu Madame Schön zu begeben und
schlugen uns seitwärts in die Büsche zum Bade. Ein schwarzgekleideter
Herr pumpte sich gerade Schwefelwasser in ein Glas und trank es aus; zwei
andere lustwandelten Arm in Arm; einzelne Gruppen saßen plaudernd unter
einer Säulenhalle, drei gesund aussehende Damen betrachteten uns vom
Badehaus aus. Zwölf Musiker saßen unter einem hohen trockenen Zelt; wir
ließen sie nebst vier Träger deutscher Pfeifer links liegen und begaben
uns durch den Wald nach Bentheim, das hochragende Schloß wie ein
Luftgespenst meidend.
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Wir
erwarteten ein gutes Abendessen bei Madame Schön; denn Jan Stil hatte
unsere Ankunft bereits angemeldet. Die behäbige, schwarz gekleidete Frau
trat ins Gästezimmer: ‚Warmes Abendessen? Es ist bereits so spät ...,
und so spät ... und kein Fleisch!’ Darauf hörten wir noch ein
unverständliches Gemurmel und forderten infolgedessen Kartoffeln, Salat,
frische Eier, kaltes Fleisch und Rheinwein. Das Dienstmädchen Christintje
stand mit gefalteten Händen hinter ihrer Herrin und schnalzte jedes Mal
mit der Zunge bei der Nennung eines Gerichts. Nach einer Viertelstunde
erschien zunächst der Wein, nach weiteren zehn Minuten lange Pfeifen,
nach einer halben Stunde Feuer.
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Das
im übrigen freundliche Christinje war geistig etwas minderbegabt. ... Um zehn Uhr brachte sie endlich das Abendessen. Es war wohl
gut, doch das Wasser lief uns im Munde zusammen, als der liebliche Duft
von Pfannekuchen uns in die Nasen stieg, die zu zwei anderen Herren
vorüber getragen wurden. ...
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Die
Schlafzimmereinrichtung war, mit holländischen Verhältnissen verglichen,
mangelhaft; im Waschnapf stand ein gefülltes Wasserglas. Was das bedeuten
sollte, war uns nicht recht klar. Schon um sechs Uhr standen wir auf,
genossen die herrliche Aussicht, die sich im Morgensonnenschein vom
Frühstückszimmer aus auf und in die Schornsteine der Häuser, auf die
weiter liegenden Äcker und auf die schöne reformierte Kirche bot. ...
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Quelle:
Die
Reisebeschreibung der drei Podagristen aus dem Jahr 1843, als PDF-Datei
auf der Seite http://www.grafschaft-bentheim.de/cms/modules/files/download.php?id=781,
abgenommen am 12. April 2012
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